Johann Jakob Woyts medizinisch-naturkundliche
Schatzkammer für Gelehrte und Laien

Michael Stolberg

Ein »Gazophylacium« eine »Schatzkammer« medizinischer und naturkundlicher Gegenstände, versprach Johann Jacob Woyt dem Leser mit seinem erstmals 1709 erschienenen Werk zu eröffnen. Der Name ist Programm. In der Konzeption baut Woyt, wie er im Vorwort ausdrücklich anerkennt, auf den Vorarbeiten früherer Autoren auf, auf den Werken von Stephanus Blancardus, Bartolommeo Castelli und anderen. Doch Woyt will nicht nur ein hilfreiches Nachschlagewerk bieten, das dem Arzt auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft den raschen Zugriff auf einzelne Begriffe und Sachverhalte ermöglicht. Er will, anders als seine Vorgänger, dieses Wissen auch einem breiteren Benutzerkreis zugänglich machen, einem Benutzerkreis, dem es an den nötigen Lateinkenntnissen fehlt, um die lateinisch verfaßten Lexika zu lesen, geschweige denn die Originalwerke, aus denen diese ihr Wissen schöpfen: den nicht akademisch gebildeten Wundärzten, Apothekern und Vertretern anderer Heilberufe und, nicht zuletzt, den gebildeten Laien.

Über die Biographie des Verfassers wissen wir wenig. Johann Jakob Woyt wurde 1671 in Elbing geboren. Er studierte in Königsberg und Leipzig und wurde schließlich 1697 in Kopenhagen promoviert. Im Jahr 1709, als er das »Gazophylacium« veröffentlichte, lehrte er bereits als Professor in Königsberg. Zum Pestarzt ernannt, starb er noch im gleichen Jahr.1

Woyt verfaßte eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten. Seiner Dissertation von 1697 zum Thema »De chylificatione« folgten ein»Compendium physiologicum« (Elbing 1699)2 »Heimlichkeiten des ganzen weiblichen Geschlechts« (Danzig 1700), »De dysenteria« (Königsberg 1704), »Trifolium chirurgicum oder chirurgisches Kleeblat« (Leipzig 1705) und die offenbar erstmals posthum veröffentlichten Werke »Unterricht von den tödtlichen Wunden des ganzen menschlichen Körpers« (Dresden 1716) so wie eine »Abhandlung aller innerlichen Kranckheiten« (Leipzig 1731).3

Schon im Jahr 1701 brachte Woyt daneben ein kleines, handliches Lexikon heraus, das ausdrücklich vor allem Apothekern, Wundärzten, Laboranten, Materialisten, Wasserbrennern und ähnlichen Berufsgruppen nützlich sein wollte, indem es ihnen in deutscher Sprache eine kurze Begriffserklärung wichtiger lateinischer Fachausdrücke und Arzneimittelbezeichnungen bot.4 In der »Schatzkammer« führte Woyt dieses Bemühen in wesentlich ausführlicherer, vertiefter Weise fort. Er spricht nun noch allgemeiner von den Menschen hohen und niedrigen Standes, für die er sein Werk verfaßt habe. Die Darstellung beschränkt sich nicht auf die ärztliche Krankheits- und Behandlungslehre, sondern räumt erneut auch den verschiedenen Arzneimitteln, ihren Ausgangsstoffen und ihrer Herstellung breiten Raum ein, ein Wissen, wie es vor allem die genannten, nicht akademisch gebildeten Arzneimittelhersteller benötigten.5 Die einzelnen Beiträge gehen in diesem Werk oft über eine bloße Begriffserklärung weit hinaus und vermitteln differenziertes inhaltliches Wissen. Das drückt sich im Umfang aus und auch in einen deutschen Register, welches das Nachschlagen der einschlägigen, nach den lateinischen Schlagworten angeordneten Artikel anhand der deutschen Begriffsentsprechungen ermöglicht.

Woyt scheint der erste medizinische Lexikonverfasser gewesen zu sein, der auf diese Weise auf wissenschaftlichem Niveau von vornherein über die Ärzteschaft hinaus auf eine breitere medizinisch interessierte Leserschaft zielte. Eine derartige unverhüllte Weitergabe medizinischen Wissens an die Laien war damals durchaus nicht unumstritten. Man befürchtete, die ohnehin verbreitete Neigung zur Selbstbehandlung zu fördern. Doch Woyt verteidigte sein Unterfangen mit Nachdruck und betonte, man müsse den Kranken wenigstens ein gewisses Grundwissen vermitteln, damit sie sich in den vielen Fällen, in denen ein Arzt nicht gleich verfügbar sei, zu helfen wüßten und nicht womöglich gar eine schädliche Therapie einschlügen. In seiner »Abhandlung aller innerlichen Kranckheiten« ging er dann sogar noch ein Stück weiter und erläuterte in deutscher Sprache systematisch und in großer Ausführlichkeit die einzelnen Krankheiten mitsamt der geeigneten Behandlungsweise.6

Im deutschsprachigen Raum war das »Gazophylacium« in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das erfolgreichste medizinische Lexikon überhaupt. Im Abstand von jeweils nur wenigen Jahren wurde es immer wieder überarbeitet, aktualisiert und neu aufgelegt, 1722 kam die dritte Auflage heraus, 1727 die fünfte, 1734 die achte, 1743 die elfte und 1746 die zwölfte.7 Die späteren Herausgeber, allen voran Johann Ernst Hebenstreit zielten in Bearbeitung und Aktualisierung des Werks wieder etwas stärker auf den wissenschaftlich gebildeten Arzt. Neue Schlagworte wurden aufgenommen, bestehende Beiträge umgegliedert und wissenschaftliche Neuerungen wie das Linnésche System eingeführt. Doch trotz alledem bemühte man sich ausdrücklich darum, »die ursprünglichen Gedanken, die wahre Absicht, und die allgemeine Einrichtung des Herrn Woyts beizubehalten«8 und ein Lexikon an die Hand zu geben, das für Gelehrte und Ungelehrte gleichermaßen brauchbar war.

Erst nach der Jahrhundertmitte ließ der Verkaufserfolg des Werks allmählich nach. Für 1761 läßt sich noch eine 15., und schließlich für 1767 eine wahrscheinlich letzte 16. Auflage nachweisen. Der wichtigste Grund für die schließlich doch nachlassende Beliebtheit ist wohl vor allem in der Konkurrenz durch ein neues, ebenfalls für Ärzte, weniger gebildetes Heilpersonal und Laien gleichermaßen konzipiertes Werk zu suchen: der »Onomatologia medica completa«, die von einer »Gesellschaft gelehrter Aerzte« verfaßt und mit einer Vorrede Albrecht von Hallers versehen 1755 veröffentlicht und schon ein Jahr später durch einen zweiten Band zu Anatomie und Chirurgie ergänzt wurde.9

In diesem Werk wirkte Woyts Anliegen aber immerhin mittelbar, in erneuerter Form weiter: das Bemühen, auf hohem Niveau eine Brücke zu schlagen zwischen zwei Welten, zwischen denen sich damals ob des ärztlichen Anspruchs auf alleinige Kompetenz in medizinischen Fragen, aber auch wegen einer wachsenden Wissensfülle eine immer tiefere Kluft aufzutun drohte.

Für den heutigen Leser ist Woyts »Gazophylacium« vor dem skizzierten Hintergrund von doppeltem Interesse. Es gibt nicht nur einen umfassenden Überblick über die Begriffsbedeutungen und wesentlichen Wissensinhalte in zeitgenössischer Medizin und Pharmazeutik. Aufgrund seiner großen Verbreitung erscheint es zugleich als ein bedeutender Entwicklungsschritt im langfristigen Prozeß der Popularisierung medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis in einem breiteren Laienpublikum und somit mittelbar als eine wichtige Quelle für das Krankheitsverständnis nicht nur von Ärzten und Heilkundigen, sondern auch von gebildeten Laien im frühen 18. Jahrhundert.

1 Vgl. Biographie médicale. Hrg. v. A. J. L. Jourdan. Bd. 7. Paris 1825, S. 519; Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker. Hrg. v. August Hirsch. 3. Auflage. Durchges. U. erg. von W. Haberling, F. Hübotter und H. Vierordt. München - Berlin 1962, Bd. 5, S. 999.

2 Compendium physiologicum, omnes hominis Sani functiones breviter explicans. Elbingen 1699.

3 Angaben nach Biographie médicale und Biographisches Lexikon [wie Anm. 1]; die Biographie verzeichnet eine weitere Auflage des »Unterrichts« für 1723; erst die dritte Auflage der »Abhandlung« (Leizig 1753) trägt den im Biographischen Lexikon angegebenen Titel »Abhandlung aller innerlichen und aeusserlichen Kranckheiten«, was die Hinzufügung eines entsprechenden Abschnitts durch den späteren Herausgeber spiegelt.

4 Deutsches Vollständig-Medicinisches Lexicon in welchem Alle Anatomische/ Chirurgische/ Chymische/ Pharmaceutische Kunst-Wörter; Item Der Thiere/ Mineralien/ Metallen/ Pflantzen/ Säffte/ Hartz/ welche zur Arzney-Kunst gebrauchet werden/ Wachsthum/ Herkommen/ Eigenschafft und Güte/ deutlich erkläret werden/ So daß es statt eines Vollkommenen Kräuter-Buchs dienen kann. Leipzig und Danzig, bei J. H. Fischer 1701. Die Biographie médicale nennt noch einen »Thesaurus pharmaceutico-chirurgicus oder gruendliche Erklaerung der ueblichen Kunstwörter, welche in Lesung deutscher medicinischer Buecher vorkommen« in mehreren Auflagen (Leipzig 1696, 1709, 1737, 1751). Dieses Werk ließ sich nicht identifizieren; die Ähnlichkeit des Titels -Thesaurus/Schatzkammer - und die weitgehende Übereinstimmung mit den Daten einzelner Auflagen des »Gazophylaciums« (mit Ausnahme der frühesten, angeblich 1696 erschienen) läßt eine Verwechslung beziehungsweise hinsichtlich der Angabe 1696 - das wäre vor Woyts Promotion - einen schlichten Irrtum vermuten.

5 Woyt greift für diesen Bereich vor allem auf die Werke von Johannes Schroeder und Johannes Zwelfer zurück.

6 Abhandlung, 2. Aufl. Leipzig 1740, S. 25-28; s.a. das Vorwort des Herausgebers zur 3. Auflage von 1753.

7 Anhand dieser zwölften Ausgabe stellte Kar1 Reiss seinen zeitgenössischen Lesern Woyts mittlerweile fast vergessenes Werk in einem Beitrag von 1872 vor (Einige Bemerkungen über »Dr. Johann Jakob Woyts Schatzkammer». In: Wiener Medizinische Presse 13 (1872), Spalte 129-132); er beschränkt sich dabei jedoch auf die beispielhafte Zusammenfassung einzelner Beiträge vor allem zu den einzelnen Heilberufen.

8 Gazophylacium, 15. Aufl., Leipzig 1761, Vorwort.

9 Onomatologia medica completa oder Medicinisches Lexicon, das alle Benennungen und Kunstwörter, welche der Arzneiwissenschaft und Apoteckerkunst eigen sind deutlich und vollständig erkläret. 2 Bde. Frankfurt - Leipzig 1755/56; die Verfasser bewahrten die Anonymität. Dieses Werk wurde im Rahmen des Archivs der europäischen Lexikographie ebenfalls in Microfiche-Reproduktion zugänglich gemacht.